Rayando el sol

Es ist fast ein Monat vergangen, seitdem ich hier angekommen bin. Wochen mit vielen neuen Erfahrungen und Herausforderungen, Momente in denen ich über mich selbst hinauswachsen musste. 
Samstags ist Waschtag und zum ersten Mal probieren Judith (eine andere Freiwillige) und ich die Handwäsche aus. Obwohl es hier zwar auch Waschmaschinen gibt, ist es in Ecuador üblicher, die Wäsche per Hand zu waschen. Zwar geht dabei nicht alles raus und die Wäsche braucht ewig um zu trocknen, aber immerhin riecht die Wäsche dann gut.
Am nächsten Tag ist wieder ein Ausflug für uns geplant: Geovanny (von der Finka) fährt mit uns zu den Tsáchilas, ein indigenes Volk in Santo Domingo (nach ihnen ist die Stadt und der Bezirk benannt).
Die Siedlung der Tsáchilas liegt ein wenig außerhalb von Santo Domingo, mitten im Nebelwald. Dort merkt man fast nichts mehr vom Lärm der Stadt.


Auch hier ein Talent mit dem Speer
In einer kleinen Tour erfahren wir vom Leben und den Traditionen der Tsáchilas: Sie sprechen eine eigene Sprache (Tsafiki) und die Männer färben sich typischerweise die Haare mit rotem Pulver. Der friedliche Stamm lebt seit über 200 Jahren in Santo Domingo. Obwohl viele von ihnen bereits ein modernes Leben führen, lassen sich noch überall die Spuren ihrer Kultur finden. Ein Tsáchila in der traditionellen Kleidung führt uns durch die touristisch ausgelegte Anlage. Dort gibt es Häuser nach traditioneller Bauweise, Opferstätten, Maschinen zum Auspressen von Bambus und eine Sammlung an toten Tieren (Schlangen, Iguanas, Bambis). Ich darf sogar mal einen Speer dort werfen. Danach können wir traditionell zubereiteten Fisch mit Reis und Kochbananenchips essen. 

In der Ausflugswoche machen jeweils die Häuser unter sich (mit circa 8 Jungs) Ausflüge zu verschiedenen Orten, wobei wir ein Haus immer begleiten dürfen. Abends packe ich meine Sachen, da wir während der Ausflugswoche im Casa Hogar wohnen werden. Um 9 Uhr in der Früh geht es für mich dann los. Meinen ersten Ausflug mache ich mit den Kleinkindern zur Emergencia. Die Auffangstation, die zum Heim gehört, ist auf junge Mädchen und Kinder aus Missbrauchssituationen ausgelegt, als erste Aufnahme. Nach zwei Wochen kehren die Mädchen oder Kinder meist in die Familie zurück oder werden in einem Heim untergebracht, es wird eine Lösung gesucht. Hier male ich mit den kleinen Kindern ein bisschen. Da diese allerdings noch so klein sind besteht das Malen eher daraus, sich in einen Klecks Farbe zu setzen. Nachmittags komme ich dann zurück ins Casa Hogar, wo ich praktisch den Nachmittag frei habe. Ich richte mich für die Woche ein bisschen ein. 

Der Kontrast jung und alt im Zoo
Dienstags ist mein längster Ausflug der Woche: Um 6 Uhr morgens sitze ich in der Buseta Richtung Quito. Nach 5 Stunden Kampf gegen den Berg (Die Fahrt geht hauptsächlich bergauf). Der Zoo von Quito ist dann doch überraschend gut: Es gibt Tiere, die ich in meinem Leben noch nie gesehen habe, ebenso wie Tiere von den Galapagosinseln oder aus dem Urwald. Man kann hier Riesenschildkröten, die schon über hundert Jahre alt sind, Papageien in allen Farben, Iguanas (sehen in etwa so aus wie ein Minidinosaurier) und auch winzige Frösche ansehen. Die Fahrt zurück ist jedoch wieder echt anstrengend: Bei 10 Jungs in einem kleinen Bus muss man nicht länge warten, bis die Party abgeht. 
Mittwoch geht mein Ausflug mit dem etwas älteren Haus zu einem Flussbad. Der "Gorila Park" ist ein Abschnitt von einem Fluss, wo es einen riesigen Felsen mit Gorillagesicht zum Runterspringen gibt. Ich springe einmal runter, oben ist es dann aber doch höher als erwartet (Das Gorillagesicht ist 7 Meter hoch). Komischerweise ist es hier offenbar üblich, in Klamotten zu baden. Ich habe noch keine einzige Frau im Bikini gesehen, aber teilweise stattdessen Badegäste in Jeans. Auch die Jungs haben keine Badehosen dabei sondern springen einfach mit normaler Hose ins Wasser. Daran habe ich mich orientiert und habe deshalb jetzt ein "Schwimmoutfit". Allerdings wird es ziemlich schnell kalt und den Rest des Tages sitze ich im Pulli am Flussufer. Um Heimzukommen, wollen wir eigentlich den Bus nehmen, der aber einfach nicht kommt. Nach 1,5 Stunden fährt dann eine ganz besondere Fahrgelegenheit vorbei: Ein LKW mit Bänken auf der Ladefläche. Zum Aussteigen springt man einfach heraus.
Nach diesen zwei längeren und anstrengenderen Ausflügen bin ich froh, den Donnerstag etwas entspannter angehen zu können: Der Ausflug beginnt erst um 2 Uhr und davor darf ich mit ein paar Jungs etwas malen. Danach geht es wegen der Hitze nicht wie geplant in einen Park, sondern ins Schwimmbad.
Das Meer mit einer riesigen Welle
Auf den Freitag freuen wir uns besonders: Zusammen mit den Kleinkindern geht es nach Coco Solo, an den Strand. Coco Solo liegt in der Nähe von Pedernales, der Ort in dem vor einigen Jahren das schwere Erdbeben die Stadt zerstört hat. Noch heute sieht man die Folgen: Es fehlt die Infrastruktur, Vieles befindet sich noch im Bau und überall liegen noch Trümmer.
Nach einem strandfreien Sommer sind wir alle dann echt aufgeregt, endlich das Meer zu sehen. Zwei Stunden dauert die Fahrt in Richtung Osten, bei der wir als Kindersitze fungieren. Der Pazifik überrascht uns alle: Das Wasser ist unerwartet warm, aber die Wellen sind riesig, sodass man im Wasser ziemlich schnell abgetrieben wird. Trotzdem wagen wir uns einmal hinein. Den Kleinkindern jedoch macht das Meer hauptsächlich Angst: Nur Patrick und Damián genießen das Wasser.
Die Woche im Casa Hogar zu wohnen, zeigt uns allen viel über den Alltag und das Leben im Heim: Die Tagesabläufe, die Stimmung und die Nähe zum Geschehen. Wir sind bei fast jedem Essen im Heim dabei, morgens beten wir beim Morgengebet in der kleinen Kapelle mit (leider verstehe ich dabei eigentlich nichts)  und abends wird ein wenig beim Film mitgeschaut.

Vor allem das Essen war eine interessante Erfahrung in dieser Woche: Zum Frühstück gibt es meistens etwas deftiges, wie etwa Käse-Empanadas, mit einer Colada. Das ist ein Getränk aus Milch mit verschiedenem Obst, Reis oder Zimt. Was genau drin ist, ist mir bis heute nicht ganz klar. Mittags gibt es dann immer eine Suppe aus Milch mit Linsen, Kartoffeln oder manchmal sogar mit Käse - der ist hier ganz anders, wird anders hergestellt und der Geschmack ist erstmal gewöhnungsbedürftig-, danach wird jedem ein Riesenberg Reis (Arroz) mit Fleisch (Rind oder Huhn meistens) und einer Beilage wie Salat oder Linsen serviert. Dazu gibt es einen ziemlich süßen Jugo (Fruchtsaft). Vor jedem Essen wird das Tischgebet gemeinsam gebetet.

Nach einer Woche im Casa Hogar kehren wir zurück ins Jugendhaus, wo wir die meiste Zeit wohnen, denn ab diesem Montag beginnt die Arbeit eigentlich komplett: Mein Unterricht in der Schule Semellitas de Dios fängt an. Ich bin eingeteilt im Unterricht des Einstiegprogramms der Schule, wobei Kinder und Jugendliche nach unterbrochener Schullaufbahn oder auch nie begonnener Schullaufbahn in kleinen Klassen wieder eingegliedert werden. Einfach gesagt, sie haben noch nie eine Schule von Innen gesehen. Ich bin für eine Stunde Sport und zwei Stunden Englisch in der Woche verantwortlich.



An meinem ersten Tag als "Lehrerin" werde ich schon gleich ins kalte Wasser geworfen: Das "Nivel Inicial" steht noch komplett am Anfang. Lesen und Schreiben kann die Klasse eigentlich noch nicht wirklich, so dass mein gesamter Unterricht mündlich stattfinden soll. Noch dazu gibt es einen großen Altersunterschied zwischen den Schülern: Die jüngsten sind 7, während die ältesten schon 14 Jahre alt sind. Mittwochs habe ich dann allerdings eine andere Klasse. Nivel 1 ist schon weiter, sie können bereits lesen und sind überraschenderweise auch einigermaßen motiviert, sodass der Englisch- und Sportunterricht an diesem Tag echt Spaß macht.

Über die Woche hinweg arbeite ich mich auch mit den Kindern mehr und mehr ein: Meine Geduld wächst, aber auch die Belastungsfähigkeit meiner Nerven. Langsam wird alles viel entspannter und man merkt, wie man besser und besser mit den Kindern umgehen kann. Ich kriege immer mehr ein Gespür für die richtigen Worte, auch das Spanische wird immer einfacher. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten bleibt es zwar schwer, aber wird immer besser. Manche Vokabeln fehlen einfach noch, ich kann meistens in Gesprächen noch nicht spontan reagieren oder verstehe nichts, wenn Kinder mit mir reden. Man merkt zwar eine deutliche Verbesserung, aber auch, dass noch ein weiter Weg vor einem liegt. Noch dazu werden in Ecuador häufig Wörter aus der indigenen Sprache Quechua verwendet, die die normalen Vokabeln einfach ersetzen. 
Die Arbeit mit den Kindern ist zwar manchmal echt anstrengend, macht aber durchaus sehr viel Spaß. Die Freude in den Augen der Kleinen, wenn sie dich sehen oder wenn sie einfach nur herkommen, um dich zu umarmen, ist ein gerechter Lohn für das, was wir hier leisten. Vom kompletten Heim erfahren wir große Unterstützung: Sei es von der Küche, die uns Reste mitgibt oder Eier spendiert, von den Erziehern, die uns helfen und die Zeit auch mit uns verbringen, dem Hausmeister der Schule, der auch bei Problemen in unserem Haus hilft oder die Direktion des Heims, an die wir uns immer wenden können, wenn wir Fragen haben. Die Leute begegnen einem hier grundsätzlich freundlich und hilfsbereit, was unsere Ankunft hier wirklich vereinfacht hat. 
Nach fast einem Monat kann ich stolz sagen, dass ich mich hier eingelebt habe. Ich bin endlich an die Stimmung, an den Lärm und die Tiere gewöhnt, kann jetzt einen Gruppe johlender Machos ignorieren (manchmal klappt das allerdings noch nicht so gut), verstehe mich super mit den anderen Leuten hier und bin bereit, Neues auszuprobieren. 




























































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