Der Anfang vom Ende

Die Zeit vergeht rasend schnell. So schnell, dass ehe man sich versieht, wieder einmal ein paar Monate nach dem letzten Blogeintrag vergangen sind. Ein paar Monate und natürlich auch wieder eine Menge an berichtenswerten  Ereignissen. Das heißt, es muss einiges an Informationen aufgeholt werden. 
Schon eine ziemlich lange Zeit ist es jetzt her, seitdem ich aus Kolumbien zurückgekommen bin und damit den letzten Blogeintrag abgeschlossen habe. Doch danach stand für mich noch eine weitere, ganz große Reise an: Es geht ins Nachbarland Peru, für viele Touristen ein durchaus sehr beliebtes Ziel. Neben dem weltberühmten Mysterium um die Inkastadt Machu Picchu hat das Land noch viele natürliche Sehenswürdigkeiten zu bieten, wie etwa eine unglaublich trockene Wüste und eine gewaltige Bergkette.
Unsere Reise beginnt in Ica, genauer gesagt in der Oase von Huacachina, die mitten in der Atacamawüste liegt. Inmitten von riesigen Sanddünen befindet sich der kleine Ort, ein winziger grüner Fleck in der doch so endlos wirkenden Wüste. Wir wagen uns ein wenig hinein und schon nach kurzer Zeit werden uns die eigentlichen Dimensionen bewusst: Bis zum Horizont erstrecken sich die Dünen, die Luft flimmert durch die trockene Hitze. Zu Fuß hat man hier keine Chance. Also buchen wir für den Nachmittag eine Sandbuggytour, dort werden wir durch die Wüste gefahren und dürfen außerdem noch auf Brettern die Dünen hinunterrutschen.
Die "Spinne"
Unsere Reise geht weiter nach Nasca, das nur zwei Stunden mit dem Bus entfernt ist. Neben den weltberühmten Linien der Inkas gibt es dort allerdings nicht so viel zu sehen. Die Linien lassen wir uns allerdings nicht entgehen und entscheiden uns für eine Flug, in einer kleinen Propellermaschine. Die Linien am Boden formen riesige, für die Inka heilige Motive, wie etwa den Kondor oder einen Affen. Vom Flugzeug aus hat man die perfekte Aussicht, obwohl der Flug durch viele Turbulenzen und Kurven ein eher unangenehmes Vergnügen wird.
Schon am selben Abend geht es mit dem Langstreckenbus weiter nach Cusco, einer schönen und alten Stadt in den Anden, auf über 3000 Meter gelegen. Die Fahrt dorthin dauert geschlagene 14 Stunden, doch zu meinem Glück kann ich auf der Nachtfahrt die meiste Zeit gut schlafen. In Cusco erwarten uns gleich  mehrere sehenswerte Orte: Neben der Altstadt Cuscos selbst mit einem wunderschönen Zentralplatz nach europäischem Vorbild, liegen die Inkaruinen Machu Picchu, die Rainbow Mountains aus schillernden Farben und gewaltige Salzebenen gleich ganz in der Nähe.
Unser erster Ausflug gilt der sagenumwobenen Inkastadt Machu Picchu, jedoch müssen wir schon früh los. Um halb fünf in der Früh stehen wir bereit, um mit dem Shuttle nach Ollantaytambo zu fahren. Von dort geht es mit dem Luxuszug weiter: Die Züge sind der einzige Weg, ausgenommen eine viertägige Wanderung, dort hinzugelangen. Weiter geht es zu Fuß: Um an den Gipfel, wo die Stadt gelegen ist, zu gelangen, kann man entweder mit dem Bus fahren, oder den Berg mit Stufen erklimmen. Wir entscheiden uns für die kostengünstigere Variante und quälen uns schlappe zweieinhalb Stunden hinauf. Oben angekommen, macht sich nun auch in Peru die Regenzeit bemerkbar: Wenn es gerade nicht regnet, hängen dichte Wolken in den Ruinen. Dadurch sieht die Stadt nur noch mysteriöser aus.

Die fast unversehrten Überreste sind Zeugen der Kultur der Inkas: Überall kann man die fortschrittliche Technik sehen. Es gibt Abflüsse des Wassers, die Hänge sind gegen Hangrutsche gesichert und es gibt sogar ein Observatorium. Neben den wissenschaftlichen Fortschritten spricht aber auch die rituelle und spirituelle Orientierung der Stadt für sich: Sie ist zwischen vier heiligen Orten gelegen und verfügt über einen großen Tempel.
Völlig durchnässt kehren wir dann nach ein paar Stunden und einer kleinen Tour durch die Ruinen dann zurück. Spätabends steigen wir dann völlig übermüdet aus dem Zug wieder aus und fallen in unsere Hostelbetten.
Auch am nächsten Tag ist wieder ein Ausflug geplant: In Maras schauen wir uns die traditionelle Salzgewinnung in Südamerika genauer an. In Terrassen aus Salzstein wird Wasser gelassen, das das Salz rauslöst. Am Ende verdunstet das Wasser und zurück bleibt eine Schicht pures Salz, das so geerntet wird. Der Anblick über den Ebenen ist beeindruckend: Vor mir erstrecken sich tausende in den Berg gehauene Becken, teils mit Wasser und teils nur noch mit Salz. Probieren sollte man trotzdem nicht.
Der wohl anstrengendste Ausflug geht gleich am Tag darauf zu den Rainbow Mountains. Nach drei Stunden Busfahrt und einer Stunde Wanderung auf über 4800 Höhenmetern komme ich endlich ganz oben an. Von hier aus sieht man die Bergkette, die durch verschiedene Mineralien in allen erdenklichen Farben erstrahlt, am Besten. Hier oben, am Ende auf über 5000 Metern über dem Meeresspiegel, kann ich allerdings nicht zu lange bleiben: Die Führer warnen vor langen Aufenthalten, um nicht höhenkrank zu werden. Doch der Anblick lohnt sich allemal: Neben tausenden Touristen und Alpakaherden wirkt der Berg unglaublich und schon fast künstlich. Das bunte Geröll zeugt schon im Tal von den vielen Farben.
Und tatsächlich merkt man hier besonders, wie der Körper mit der dünnen Luft zu kämpfen hat. Nach dem Rückweg bergab komme ich vollkommen ausgelaugt wieder im Bus an.
Nach einigen anstrengenden Ausflügen bleibt noch Zeit, die Altstadt Cuscos zu erkunden, und uns schließlich für die Rückreise bereit zu machen. Ein letzter Abstecher geht nach Lima, wo wir noch eine Nacht in einem fürchterlichen Katzenhostel (Allergie lässt grüßen) verbringen. Nach einer beeindruckenden abendlichen Lichtershow in einem Park voller Brunnen nimmt unser Urlaub schließlich ein Ende, und ehe ich mich versehen kann, bin ich schon wieder zurück in Santo Domingo.
Der Urlaub in Peru hat jedoch auch mal eine andere Seite Südamerikas gezeigt: Im Gegensatz zu den vielen Ländern ist das Land ein durchaus sehr beliebtes Touristenziel. Während die ländlichen Regionen in der Entwicklung weit zurückhängen, präsentieren sich die Touristenorte in glorreichem Glanz. Wirklich alles orientiert sich hier am Tourismus: Europäische Cafés, Souvenirs bis zum Ersticken und ganz klar auch europäische Preise (der "Gringopreis").
Und obwohl ich in diesem Urlaub wirklich viel sehe, bin ich dann doch froh, wieder zurück "Daheim" zu sein.


Meine zweite Ecuador-Halbzeit beginnt hier mit den großen Schulferien der Jungs, welche von Anfang Februar bis Mitte April dauern. Ganz schön viel Zeit, um die Kinder beschäftigt zu halten. Und hier kommen wir wieder ins Spiel: Wir organisieren vormittags Workshops für die Kinder, wie etwa Basteln, Sportangebote, Kochen oder Karaoke. Ich mache jeden Vormittag einen Retos (Spiel, Spaß und Fitness) -kurs, bastle einige Male in der Woche oder mache noch mehr Sport (Fußball und Basketball). Besonders hier kann ich mich persönlich ausfalten und mit den Kindern viel Zeit verbringen: Auch ein bisschen meines Leichtathletiktrainings kann ich hier weitergeben.
In der zweiten Hälfte des Vormittags bin ich dann immer abwechselnd bei zwei Workshops dabei: Einmal Jardinería (Gartenarbeit) und noch Mathe (Mit dem Computer Kometen abschießen). Beides ist eigentlich ziemlich lustig, wobei das Gärtnern dann doch nochmal eine anstrengendere Angelegenheit ist.
Im zweiten Ferienmonat finden dann jeweils wöchentliche Aktivitäten statt, die von allen Kindern in der ganzen Woche durchgeführt werden. So werden in einer Woche Tänze einstudiert, in der anderen finden sportliche Wettkämpfe statt, wir bereiten außerdem ein Quiz vor und, als absolutes Highlight gestalten wir Freiwilligen jeweils mit einer eigenen kleinen Gruppe eine Zirkusaufführung. 

In meiner Zirkusgruppe suche ich mir sechs Jungs zusammen, um mit ihnen gemeinsam eine Akrobatikaufführung zu gestalten. Die Jungs bauen Menschenpyramiden und üben einige akrobatische Kunststücke, bis wir schließlich im großem Zirkus als Piraten die Bühne erobern. 
Besonders die Arbeit mit so einem eigenen Projekt ist eine große Herausforderung: Die Gruppe muss unter Kontrolle gehalten werden, doch den Jungs muss es trotzdem noch viel Spaß machen. Und Alles in allem haben wir ja wirklich nur eine einzige Woche Zeit, um die Vorstellung vorzubereiten. Doch als dann meine Gruppe Piraten die Bühne stürmt, klappt alles wie am Schnürchen: Die Herzen des Publikums sind erobert.
Und nach zwei Monaten eigenem Programm, viel Action und Aufgaben, nähert sich im April auch schon wieder die Schulzeit. Was ich damals noch nicht weiß, ist welch anstrengende Aufgabe da auf mich zukommt. Erinnert ihr euch noch daran, wie es war, alle Schulmaterialien einkaufen zu gehen und euch alles zusammenzusuchen? Das fand ich eigentlich immer ganz lustig. Aber was mich erwartet, sind die Schullisten von am Ende über 100 Schulkindern, die Materialen brauchen. Das sind nicht nur die Jungs im Heim, sondern auch die Kinder aus der Notunterkunft Montoneros, Jungs die schon wieder in ihrer Familie leben und einfach auch viele bedürftige Familien, die sich die Materialien niemals leisten können. Denn das, was die Schulen fordern, sprengt das Budget jeder normalverdienenden Familie. Neben normaler Ausstattung wie Heften, Stiften und Spitzer fordern die Schulen noch zahlreiche Bastelmaterialien (von Glitzergummipapier bis hin zu im Dunkeln leuchtenden Neonaufklebeblättern), Badartikel wie Seife, Handtüchern und Feuchttüchern, und einen Haufen unnötigen Kram: Eine Lehrerin forderte ein Zebrakostüm, eine andere eine Schwimmnudel und der Abiturient darf jetzt eine Kindertrommel mit Rasseln mit in die Schule nehmen. Neben viel Zeit benötigt diese Aufgabe entsprechend auch eine ziemliche Nervenstärke. Nach drei Wochen in der Lagerkammer kenne ich jetzt allerdings das Vokabular für sämtliches an Bastel- und Schulmaterial. 
Ich, meine Eltern und ein paar Kinder
Meine Ferien werden jedoch auch durch den lange ersehnten Besuch meiner Eltern durchbrochen. Wenn man seine Familie für so lange Zeit nur noch auf dem Bildschirm sieht, scheint einem ein Wiedersehen ziemlich unwirklich. Und obwohl ich die meiste Zeit nie wirklich von Heimweh geplagt wurde, überwältigen mich meine Gefühle am Flughafen. 


Nach so langer Zeit kann ich ihnen endlich das Land zeigen. Für meine Eltern ist dieser Besuch auch ein ganz besonderer Urlaub. Endlich sehen sie mal das Heim und die Stadt in Echt. Besonders Santo Domingo hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen: "Das ist ja hier noch hässlicher als ich dachte". Durch die neue Perspektive wird mir klar, wie sehr man sich eigentlich an alles gewöhnen kann: An die hundert Stromkabel die einfach rumhängen, an die Straßenhunde, an den Müll und vor allem an die lateinamerikanische Gelassenheit. 
Und so sehen meine Eltern in ihrem Urlaub nicht nur beeindruckende Urlaubsziele, sondern auch das Leben im Heim und meine "Heimatstadt". Gemeinsam reisen wir dann noch nach Quilotoa, eine beeindruckende Vulkanlagune mit türkisblauem Wasser, in den Cotopaxi-Nationalpark und nach Quito. 
Neben vielen wunderschönen Momenten und vielen Fotos nehmen meine Eltern aber auch ohne Zweifel einen kleinen oder größeren Kulturschock mit nach Deutschland. Denn Ecuador hat mal wieder nicht nur seine schönen Seiten gezeigt. So erfahren sie hier einen Diebstahl, fahren über Ecuadors gefährlichste Autobahn (die nach Quito) und probieren das hiesig zubereitete Essen.  
Die Ferien bringen für mich neben freudigen Besuchen und tollen Aufgaben, sowie kleineren Ausflügen leider auch ein paar traurigere Ereignisse mit: Nach einigen Monaten verabschieden sich schon die ersten Mitfreiwilligen. Nach so viel gemeinsam verbrachter Zeit kennt man sich richtig gut und der Abschied tut tatsächlich auch ein wenig weh. Mit den ersten Heimkehrern fängt auch für mich der Anfang von Ende an: Ab jetzt denkt man schon viel mehr ans Zurückkehren, informiert sich schon, plant schon die Rückkehr und den Abschied. 
Schon in fünf Wochen werde ich mich vom Heim und somit von den meisten Kindern für immer verabschieden. Der Gedanke, das alles hier zu verlassen, macht mir Angst, doch die Freude wieder nach Hause zu kommen, wird auch immer größer. 



Kommentare

  1. Auch wir - Tante und der Onkel - durften Helenes Heimat der letzten Monate besuchen und waren schwer beeindruckt, was hier alles auf die Beine gestellt wird und wie glücklich die Kinder sind. Es war uns eine große Freude und auch Erleichterung Helene wieder in die Arme nehmen zu dürfen. Wir hoffen, wir konnten den Abschied für Helene mit unserer gemeinsamen Reise durch Ecuador etwas erleichtern. Sie war eine großartige Reiseführerin für uns. Dankeschön!
    Gabi und Horst

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