Sommer, Sonne, Kaktus

Mit der Weihnachtszeit neigt sich das Jahr 2018 dem Ende zu und zum ersten Mal in meinem Leben verbringe ich die Feiertage weit weg von meiner Familie, eine Zeit, die, wie ich angenommen hatte, eine der schwierigsten werden sollte. Doch ganz im Gegenteil: Durch die vielen Aktionen, die vielen Feiern und Aufgaben, die mich jetzt erwarten, gestaltet sich diese Zeit als eine der erlebnisreichsten und auch besinnlichsten. 

Auch hier schaut man sich den "Grinch" zu Weihnachten an
In den Adventsgottesdiensten, die jeden Sonntag im Heim abgehalten werden, kommt auch langsam wirklich Weihnachtsstimmung auf: Wenn man dann gemeinsam im Dunkeln die Kerzen auf dem Adventskranz anzündet, die Lichterketten den Speisesaal erleuchten und auch daheim schon ein Tannenbaum (Auch wenn er aus dem Karton einer Waschmaschine gebastelt ist) auf dich wartet, dann weihnachtet es auch in Ecuador trotz der ungewohnten Hitze sehr. 

Und so feiere ich Weihnachten zwar nicht mit der Familie, aber mit meinen Freunden und den familiären Strukturen im Heim: An Heiligabend werde ich mit ein paar Jungs ins Kino eingeladen, bevor der Gottesdienst und das große Weihnachtsessen (es gibt Gans - natürlich mit Reis) beginnt. Am 1. Weihnachtsfeiertag findet dann endlich das große Krippenspiel statt, auf das wir alle hingearbeitet haben - und wird glatt ein voller Erfolg: Das Publikum, bestehend aus Kindern, Erziehern und sogar einigen Eltern von Kindern, ist begeistert.  Unser Weihnachtsfest wird dann schließlich abgeschlossen durch ein gemeinsames Weihnachtsessen aller Freiwilligen, bevor wir dann eine Woche zwischen den Jahren freibekommen haben.
Doch die Weihnachtszeit bedeutet auch eine Zeit der Reflexion, es bietet sich die Gelegenheit, auch einmal ein Resümee zu ziehen: Was kann ich tun, um jeden Tag ein besseres Ich zu sein? Was mache ich hier gut, was läuft nicht so toll? Was gefällt mir hier gut, was allerdings auch nicht? So komme ich zum Schluss, dass es mir hier zwar echt gut gefällt, aber an einigen Dingen trotzdem noch ein wenig gearbeitet werden muss, wie etwa an meinem Umgang auch mit den größeren Jungs oder natürlich auch meinen Spanischkenntnissen. 

An der Küste
Einen Abschluss meines Jahres bietet der Urlaub, der uns zwischen den Jahren gegeben wurde: Unsere freien Tage sollen ausgenutzt werden und deshalb geht es an die Küste Ecuadors, nach Puerto Lopez und Montañitas. Was ursprünglich als Partyausflug zu Silvester geplant war, wandelt sich allerdings schnell in einen richtigen Urlaub um: nahe Puerto Lopez findet sich der schönste Strand Ecuadors, Playa de los Frailes, mit weißem Sand und kristallklarem Wasser, wo wir dann gleich einen ganzen Tag in der Sonne verbringen. 
Doch nicht nur der wunderschöne Strand lockt die vielen Touristen dorthin, sondern auch die "Isla de la Plata", eine Insel vor der Küste, die von den Einheimischen auch "Galapagos für Arme" genannt wird: Auch dort gibt es eine einzigartige Tierwelt zu entdecken, und so entscheiden wir uns für einen Tagesausflug auf die Insel. Der beginnt allerdings erstmal mit einer qualvollen, einstündigen Speedbootfahrt, die sogar dem stabilsten Magen eine kleine Herausforderung stellt, sodass wir ziemlich froh sind, dann endlich auf der Insel anzukommen. Dort können wir eine geführte Wanderung machen, mit einem Führer, der so ziemlich über alle Tiere (zurzeit hauptsächlich Vögel) wirklich gut informiert ist: Die Blaufußtölpel leben fast ausschließlich dort und fallen, wie der Name schon vermuten lässt, durch ihre knallblauen Füße auf. Danach geht es dann noch zum Schnorcheln vor einem Korallenriff, doch irgendwie ist das einzige, was ich entdecken kann, ein Fischpärchen. Den anderen geht es nicht anders und so kommen wir zu dem Schluss, dass die Isla de la Plata wohl nicht mit Galapagos verglichen werden kann.
Ein Sprung ins neue Jahr
Neben unglaublicher Natur hat Puerto Lopez für mich auch noch einen ganz neuen Anblick: Eine erhebliche Anzahl an Auswanderern aus Europa und anderen Teilen der Welt, die in Ecuador ihr Glück als Hostelbesitzer, Köche oder Strandbarkeeper versuchen. Im Gegensatz zu Santo Domingo findet man hier auch Cafes und Restaurants mit Ambiente. Diese Beobachtung zieht sich bis zu unserem weiterem Reiseziel durch, die Surfer- und Partystadt Montañita, die man wohl auch den ecuadorianischen Ballermann nennen könnte. Auch der Strand ist hier völlig überfüllt mit ausländischen Touristen, auf der Suche nach alternativer Partyerfahrung. Hier ist es uns allerdings ein wenig zu viel, sodass wir glatt noch an einen anderen Strand fahren. An Neujahr steigen wir dann in den nächsten Bus, wieder auf dem Heimweg nach Santo Domingo.

Das neue Jahr beginnt gleich mit einer Arbeitsänderung: Ich darf jetzt am Nachmittag mit einer kleinen Gruppe Jungs die Hausaufgaben aus der Schule machen. Diese neue Aufgabe bietet gleichzeitig auch eine ziemliche Herausforderung für mich: Die Motivation, die einfachsten Arbeiten zu erledigen, ist leider nicht viel höher als die Motivation in meinem Unterricht, die Jungs versuchen natürlich ständig, mir alle Aufgaben abzudrücken, und mir fehlt einfach in dieser Gruppe noch die Autorität. Außerdem bin auch ich regelmäßig maßlos überfordert mit den Aufgabenstellungen (zum Beispiel im Sprach- und Literaturaufgaben der Kinder) und kann einfach nicht helfen. Doch im Laufe der Wochen kriege ich diese Probleme einigermaßen in den Griff, sodass die Hausaufgaben endlich ohne halben Nervenzusammenbruch innerhalb kurzer Zeit fertig gemacht werden können. 


Zum Wochenende der heiligen drei Könige bietet sich dann ein neues Highlight: Aus Quito und Chile sind Köche angereist, um zusammen mit den Jugendlichen des Heims ein Wohltätigkeitsdinner auf die Beine zu stellen. Jedes Jahr veranstaltet das Casa Hogar diese Aktion, um Geld für die Einrichtung zu sammeln. Dabei nehmen Freunde und Mitarbeiter der Stiftung und viele weitere Gäste teil. Für über 200 Gäste wird unter den strengen Augen eines Sternekochs, wie man ihn sich vorstellt, gekocht, verteilt, dekoriert und schließlich danach auch wieder aufgeräumt. Schon um neun Uhr morgens beginnt unser Arbeitstag damit, Schleifen um Stühle zu binden und Tische zu decken, und endet spätabends um zwei Uhr damit, endlos viele Gläser abzuspülen. Dafür können wir dann allerdings auch noch von allem genügend probieren.  Am Ende sind wir zwar völlig übermüdet, aber auch zufrieden und ziemlich satt. 




Am nächsten Tag startet auch schon unsere nächste Aktion: Am Tag der heiligen drei Könige werden für die Kinder im Heim Geschenke ausgeteilt, vom Prinzip her wie an Heiligabend in Deutschland: Jedes Kind erhält ein paar Schuhe, Kleidung oder unsere Kleinen ein Kuscheltier, allerdings nicht ohne ein paar mahnende Worte der Heimleiterin. Dazu verkleiden wir uns als drei König(innen), mit Kronen und Tüchern. Die Freude der Kinder ist riesig, viele schätzen das kleine Geschenk total, und freuen sich auch über uns. An jede Tür werden noch dazu Schilder angebracht: Christus segne dieses Haus, praktisch die deutsche Tradition auch hier in Ecuador. 

Es dauert nicht lange und schon steht wieder eine Reise an, jetzt allerdings auch einmal eine etwas größere: Es geht ins Nachbarland Kolumbien. Und obwohl die Länder eine lange gemeinsame Vergangenheit und auch viel Kultur teilen, ist es dort noch einmal ganz anders. Das Land wirkt so groß, so mächtig. Unsere Reise geht zuerst in die Hauptstadt Bogotá, eine Metropole mit über neun Millionen Einwohnern. Die ganze Stadt gleicht einer amerikanischen Großstadt: riesige, breite Straßen, Hochhäuser und moderne Bankenviertel und den pulsierenden Stress, der die Stadt antreibt. Anzugträger, Straßenkünstler, Polizisten und Militärs und auch viele Touristen strömen durch die Fußgängerzone in der Innenstadt. Ein historisches Zentrum mit Regierungsgebäuden bildet den Kern der Stadt, welchen wir auch gleich am ersten Tag besichtigen.
Ein Highlight in Bogotá und eine koloniale Kirche


Zu den Highlights Bogotás zählt auch das Goldmuseum, in dem viele Kunstwerke, Schmuck und Werkzeuge der indigenen Einwohner, gefertigt aus Gold, ausgestellt werden. Oft sind die Gegenstände in winziger Detailarbeit bearbeitet und zeigen mystische Figuren. Die Ausstellung ist faszinierend und bietet auch einen tollen Einblick in das Leben in Südamerika in prähispanischen Zeiten, vor der Kolonialisierung. Besonders in dieser Stadt merkt man deren Auswirkungen besonders: Auf vielen der heiligen Stätten der Ureinwohner wurden katholische Zentren, wie etwa die Hauptkathedrale oder die Pilgerkirche auf dem Hügel über der Stadt errichtet.

Genau diese Pilgerkirche wird unser Ziel am zweiten Tag: gemeinsam mit Judith wage ich den Aufstieg auf den Monserrate, ein 3100 Meter hoher heiliger Berg über der Stadt. Unsere Wanderung zieht sich zwar bloß über zwei Kilometer, allerdings brauchen wir dank der Höhenluft und vielen ungleichmäßigen Stufen fast zwei Stunden dafür: Alle 200 Meter muss erst einmal eine Verschnaufpause gemacht werden. Dafür lohnt sich dann der Ausblick über die Stadt umso mehr: Von oben werden die Weiten, über die sich die Stadt erstreckt, erst wirklich deutlich. 
Danach schauen wir noch im Distrito Graffiti, ein Industriegebiet mit vielen kunstvollen Graffitis, vorbei. Bis vor einigen Jahren war diese Straßenkunst in Kolumbien nämlich streng verfolgt und bestraft und so hat sich dieses Viertel mit den Werken verschiedener Künstler wortwörtlich über Nacht gestaltet.
Und mit dem Sport geht es am nächsten auch gleich weiter: Für den Vormittag ist eine Fahrradtour durch die Stadt geplant, mit Essensproben und auch interessanten neuen Informationen. Diese Tour ist dann allerdings noch viel anstrengender als erwartet, da Bogotá auch wieder auf über 2600m liegt und wir mit den Fahrrädern einige steile Hügel überwinden müssen. Doch allen in allem können wir noch viel neues von der Stadt sehen, neben traditionellem Essen auch etwa eine Stierkampfarena (In Kolumbien werden noch Stierkämpfe durchgeführt), Stadtparks und noch ein armes Viertel, genau wie man es sich vorstellt: Drogen, Alkohol, Prostitution und Armut, alles ganz offensichtlich.
Diese Seite von Kolumbien scheint doch ein wenig durch: Wir beobachten einen Drogenhandel, das Militär ist schwer bewaffnet an jeder Ecke präsent und während wir uns in Bogotá aufhalten, gibt es  einen schweren Terroranschlag auf eine Polizeiakademie. Und obwohl in all den Jahren Kolumbien viel sicherer und friedlicher geworden ist, hinterlässt die Vergangenheit bis heute noch ihre Spuren in diesem Land, noch oft erschüttern Verbrechen die Städte.
Unser nächstes Ziel wartet schon auf uns: Die Stadt Cartagena de Indias und somit die Karibik und das Meer. Am Flughafen in Bogotá warten wir schon ganz gespannt und machen dabei den Fehler, uns doch einmal selbst auf die Kofferwaage zu stellen, mit erschreckenden Ergebnissen (der viele Reis wird offenbar doch ziemlich schnell angelegt). Ein wenig traumatisiert irren wir durch den Flughafen und finden uns jedoch wenig später im Crepes- und Waffelladen wieder...

Der Strand und das Meer auf der Isla Grande
In der Karibik geht es dann erstmal auf eine kleine Insel, die zum Archipel der "Islas del Rosario" gehört: Eine kleine, abgeschiedene Insel, ein Erholungsparadies, fernab vom Stress des Alltags und der modernen Zeiten: Es gibt weder Internet noch fließendes Wasser. Neben einer Eimerdusche erlebe ich hier allerdings auch einen atemberaubenden, friedlichen Strand, mit türkisem Wasser und feinem Sand und auch einmal eine Auszeit. Den ganzen Tag liege ich am Strand, während mir die Meeresbrise durch die Haare weht und die Sonne meine Haut bräunt. Leider bringen wir genau dadurch als Mitbringsel der Insel hauptsächlich einen ziemlichen Sonnenbrand der karibischen Mittagssonne mit. 
Die Hitze setzt sich auf dem Festland dann noch fort: Bei 34 Grad und brennender Sonne ohne den kühlenden Wind (eigentlich eine ganz schöne Abwechslung zum täglichen Regen in Santo Domingo) bleibt uns noch Zeit in Cartagena, ein wenig die schöne Stadt anzuschauen: Neben mächtigen Stadtmauern aus dem Beginn der Kolonialzeit gibt es auch eine wunderschöne Altstadt mit bunten Häusern mit Balkonen und Blumen, großen und einladenden Plätze und ein paar alten Kathedralen. Hier wimmelt es nur so von Touristen, unter anderem einigen Deutschen. Man fühlt sich hier schon fast wie in Europa, als wäre man in Spanien und nicht am anderen Ende der Welt. Doch genau das macht diese Stadt so besonders. Dieser Teil der Stadt stellt einen wirklichen Kontrast zum neuen Zentrum dar, in dem riesige weiße Wolkenkratzer aus dem Boden wachsen. Hier merkt man, dass in Teilen der Cartagenas wirklich viel Geld vorhanden ist, allerdings nicht nur aus sauberen Geschäften. Als Hafenstadt floriert hier der Drogenhandel, unter dem Tisch wird die Stadt von mächtigen Männern regiert. 
In diesem Urlaub sammle ich dann noch einige weitere neue Erfahrungen, wie etwa der Umgang mit einer Währung, dessen Wert uns völlig fremd scheint ($1 ist etwa COP 3100; da zahlt man schonmal plötzlich  COP 100000), die Sprache, die selbst im Nachbarland nicht ganz dasselbe ist (Dale, papi :)) und die anderen Möglichkeiten, die Kolumbien bietet (etwa gute Pizza).
Doch obwohl mir die Reise wirklich gefallen hat, bin ich froh, als ich endlich wieder ins Heim komme und von den Kindern zur Begrüßung umarmt werde. Denn ich weiß, dass ich hier einen Platz gefunden habe. 
Nationalpark Machalilla - Aguas Blancas







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